INTERVIEW (Matthias Stotz, CEO Tutima Glashütte): „Wir wollen größer werden und wachsen.“
Anlässlich der Hamburg Open im Mai dieses Jahres, bei dem Tutima als Official Timekeeper fungierte, sprach ich mit Matthias Stotz über seine neue Aufgabe als CEO einer Glashütter Manufaktur und seine Leidenschaft für die Uhrenbranche.
Matthias Stotz und Junghans – für viele in der Branche war das ein und dasselbe. Daher waren nicht wenige überrascht, als er im September 2023 auf eigenen Wunsch das Schramberger Unternehmen nach 16 Jahren verließ, um sich beruflich neuen Herausforderungen zu stellen.
Diese bestanden zunächst darin, sich vorrangig seinem eigenen Unternehmen für Maschinen und Werkzeuge für die Uhrmacherwerkstatt, Vector Technik, zu widmen. Dieses hatte er während seiner Tätigkeit bei Junghans nie aufgegeben.


Doch dann kam der Ruf aus Glashütte. Und diesem folgte Matthias Stotz und bekleidet seit Beginn 2025 die Position des CEO bei dem Familienunternehmen Tutima Glashütte. Anlässlich der diesjährigen Bitpanda Hamburg Open am Rothenbaum in Hamburg, bei denen Tutima Glashütte als Official Timekeeper fungierte, hatte ich die Möglichkeit mit Mattias Stotz über seine Ziele und seinen Blick auf die Herausforderungen der gesamten Uhrenbranche zu sprechen.
Insight Luxury: Als ich erfahren habe, dass Sie zu Tutima Glashütte gehen, habe ich als Erstes gedacht: Er kann es nicht lassen! Ist da was dran? Hat Ihnen Ihr eigenes Unternehmen Vector nicht gereicht?
Matthias Stotz: Kann er es nicht lassen? Warum meinen Sie das? Alle Tätigkeiten, die ich in und für die Uhrenbranche gemacht habe, habe ich immer aus voller Überzeugung gemacht, weil ich sie gern mache.
Und vielleicht hört sich das ein wenig merkwürdig an, aber ich möchte der Branche wirklich dienen: ob bei der Ausbildung von Uhrmachern und den dazugehörigen Prüfungen an den Schulen und den Handwerkskammern, bei der Arbeit in meinem eigenen Unternehmen oder eben bei Junghans und jetzt bei Tutima Glashütte.
Wenn ich die Chance bekomme, für ein bedeutendes Uhrenunternehmen in Deutschland tätig zu sein, um es strategisch und operativ erfolgreich weiterzuentwickeln, dann ist das für mich eher eine Verpflichtung.
Matthias Stotz
Es geht also nicht darum, ob ich das nicht lassen kann oder will. Ich fühle mich tatsächlich berufen, in und für die Uhrenbranche tätig zu sein. Wenn mir solche tollen Aufgaben wie bei Tutima Glashütte begegnen, dann nehme ich sie gern an und widme mich dem mit voller Leidenschaft und Überzeugung.
Nachdem ich so viele Jahre im Schwarzwald aktiv war, freut es mich übrigens außerordentlich, jetzt für ein Unternehmen in der deutschen Hochburg der feinen Uhrmacherei in Glashütte tätig zu sein.

IL: Junghans und Tutima Glashütte haben einiges gemeinsam. Es sind beides deutsche Unternehmen und in Familienhand. Wo aber liegen die größten Unterschiede beziehungsweise, was zeichnet Tutima Glashütte besonders aus?

MS: Jede gute Marke hat eine ganz eigene DNA, einen eigenen Ursprung und natürlich auch eine eigene Geschichte. Das Spannende an Tutima ist unter anderem die Kontinuität, die uns von anderen Glashütter Uhrenhersteller unterscheidet.
Die Unternehmensgeschichte hat ohne Unterbrechung in Ost und West stattgefunden und steht so auch für die gesamtdeutsche Entwicklung. Seit 2008 ist Tutima wieder am Ursprung in Glashütte aktiv, wo Dr. Ernst Kurtz 1927 den Grundstein für die heutige Manufaktur legte. Vom Gründer zur heutigen Inhaber-Familie Delecate gab es einen nahtlosen Übergang. Eine solche Kontinuität ist wirklich etwas Besonderes.

Überdies war das Thema der Fliegerei prägend für Tutima Glashütte, ebenso der Mut der jeweiligen Inhaber. So stellte man 2011, also nur drei Jahre nach der Rückkehr nach Glashütte, nicht einen neuen Chronographen vor – dafür war die Marke ja bekannt -, sondern die erste echte Glashütter Minutenrepetition am Handgelenk. Und damit eine der anspruchsvollsten Komplikationen in der Uhrmacherei.

IL: Von sportlich-robust bis sehr hochwertig-elegant, für die große Bandbreite erscheint Tutima Glashütte als Unternehmen relativ klein. Welche Pläne haben Sie hinsichtlich der Kollektions-Gestaltung in der Zukunft?
MS: Vieles davon ist in den Köpfen der Uhrenkenner und -liebhaber stark verankert und wird sehr geschätzt. Daher wäre es ein Verlust, wenn man diese Bandbreite zu sehr reduzieren würde.

Vor allem wird Tutima Glashütte aber immer noch mit der Fliegerei assoziiert. Das liegt daran, dass man nicht nur im Zweiten Weltkrieg den Fliegerchronographen mit dem Kaliber 59, sondern auch später den berühmten Militärchronographen entwickelt und hergestellt hat. Daran kommen wir nicht vorbei und wollen es auch gar nicht.

Aber natürlich möchten wir die Marke und das Portfolio weiterentwickeln, allerdings ohne den Kern zu verwässern. Das bedeutet, wir schauen uns die Kollektion an und möchten Sie für eine erfolgreiche Zukunft anpassen.
In zwei Jahren werden Sie spätestens das Ergebnis unserer Ideen sehen, dann feiert Tutima Glashütte das 100. Jubiläum.
Matthias Stotz

IL: Das heißt, bis 2027 kann noch die eine oder andere Profilschärfung stattfinden?
MS: Um es noch mal ganz deutlich zu sagen. Es ist gut, dass wir ein breit gefächertes Profil haben. Sie haben es ganz richtig gesagt: Wir sind für die Bandbreite, die wir bieten, verhältnismäßig klein.
Aber: Wir wollen größer werden und wachsen. Das ist unser Anspruch. Wenn man so will, müssen wir in das hineinwachsen, was wir eigentlich schon sind: Eine Manufaktur und Marke mit sehr viel Know-how und Kompetenz. Das ist die Herausforderung, die wir uns für die nächsten Jahre selbst gestellt haben.


IL: Da passt der Erweiterungsbau in Glashütte ja genau ins Konzept. Dabei geht es also auch um den Ausbau des Produktionsvolumens.
MS: Selbstverständlich. Wir haben schon heute in der Manufaktur viel zu wenig Platz für all die Maschinen, die wir einsetzen.
Wir haben ja nicht nur Drehmaschinen und die CNC-Maschine für die Fräsarbeiten. Darüber hinaus erodieren, mattieren, gravieren wir und so weiter. Wir können die dafür erforderlichen Mitarbeiter, Maschinen und Werkzeuge nicht mehr in einem Gebäude unterbringen und produzieren bereits an zwei Standorten in Glashütte.
Durch den Erweiterungsbau direkt an unserem Hauptgebäude werden die Wege kürzer und ermöglichen es uns, zu wachsen.
Matthias Stotz

IL: Thema Ausbildung und Fachkräfte, auch hier sollten die Zahlen wachsen: Uhrmacher und solche, die es werden wollen, werden händeringend gesucht. Sie selbst mit Vector und auch Tutima Glashütte unterstützen das Uhrmacher-Mobil des Uhrmacherverbandes. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es der Beruf des Uhrmachers wieder auf die Wunschliste junger Leute schafft?
MS: Man kann sagen, dass etwa die Hälfte der Uhrmacher aus dem familiengeführten Fachgeschäft kommen, gewissermaßen mit dem Beruf groß geworden ist. Und dann gibt es diejenigen, die den Beruf erst als ihren Traumberuf entdecken müssen. Das geschieht oft über einen Umweg beziehungsweise den zweiten Bildungsweg, nachdem man schon eine berufliche Laufbahn in einem anderen Bereich begonnen oder abgeschlossen hat.

Nicht selten werden Uhren erst zum Hobby, dann steigt man tiefer in die Materie ein und lernt den dazugehörigen Beruf auf Ausstellungen oder Ausbildungsmessen kennen.
Deshalb ist die Initiative vom Zentralverband für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik mit Albert Fischer als Präsident so wertvoll.
Matthias Stotz
IL: Welche Eigenschaften sollte man als angehender Uhrmacher mitbringen?
MS: Geduld, Ruhe und gute Augen. Und je jünger man einsteigt, umso mehr kann man von und in diesem großartigen Beruf lernen, der seit Jahrhunderten von anspruchsvoller Technik, aber auch Gestaltung geprägt ist. Die Uhrmacherei war da anderen Technologien im Hinblick auf Präzision und filigraner Verarbeitung immer weit voraus.

Die Uhrmacherei ist eine bedeutende Handwerkskultur und nicht nur Teil der Schweizer, sondern auch der deutschen Technik-Geschichte.
Matthias Stotz
Daher ist es für Tutima Glashütte und für mich selbstverständlich, dass wir das Uhrmacher-Mobil und die Ausbildungsinitiative des Zentralverbandes unterstützen. Denn es gibt aktuell in der Welt einfach zu wenig Uhrmacher.
Und zwar nicht nur bei den Marken, sondern vor allem auch in den Fachgeschäften. Es wird für Kunden immer schwieriger, jemanden zu finden, der zum Beispiel die von den Großeltern geerbte Uhr unkompliziert wartet und repariert.
Wir müssen daher alle etwas dafür tun, damit es auch in Zukunft ausreichend Uhrmacher für Marken und Fachhandelsbetriebe gibt. Der Bedarf ist in jedem Fall vorhanden.
IL: Sie sind also zuversichtlich, dass uns die Uhrmacher in Deutschland nicht ausgehen werden.

MS: Ja, da bin ich mir sicher. Natürlich gibt es auch andere interessante Berufe, beispielsweise im IT-Bereich. Aber ich beobachte bei den jungen Menschen auch eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte und das Interesse an analogen Dingen.
Mein Optimismus diesbezüglich und meine Begeisterung für die Uhr als solche gehen da Hand in Hand. Daher kämpfe ich dafür, dass man auch zukünftig immer weiß, wie spät es ist, und wie schön es ist, die Uhrzeit von einer echten Uhr ablesen zu können.
IL: Dazu müssen aber auch weiter Uhren ver- und gekauft werden. Und da ist gerade mächtig Sand im Getriebe. Die Luxusgüterindustrie läuft nicht mehr von allein. Mal schwächelt China, dann zettelt ein US-Präsident einen Zoll-Irrsinn an, Inflation und insgesamt eine unsichere weltpolitische Lage usw. kommen hinzu. Alles nicht gut für die Konsumlaune. Weshalb wird und wie kann ausgerechnet die Armbanduhr eine solche Phase gut überstehen?
MS: Die Uhrenindustrie ist ja bereits seit Jahrzehnten in einer Transformation. Und da haben sich eigentlich immer besonders schöne und/oder wertvolle Produkte durchgesetzt. Und vor allem solche, die echte Emotionen hervorrufen. Das sind auch heute die wichtigsten Bausteine, um gefragt zu bleiben.

Wenn jetzt insgesamt die Märkte schwieriger werden, dann werden als erstes die Menschen keine Uhren mehr kaufen, die dies zuvor aus rein spekulativen Gründen getan haben. Oder weil sie meinten, dass eine bestimmte Marke in einer bestimmten Umgebung zum guten Ton dazugehört, da die anderen sie auch tragen. Das sind seelenlose Käufe ohne emotionale Verbindung zur Uhr. Das hat vor wenigen Jahren zum Beispiel zu dem überhitzten Pre-owned-Markt geführt. Aber dort haben sich die Preise mittlerweile wieder deutlich abgekühlt.
Das sind für mich jedoch nicht die Käufer, die die Uhrenindustrie auch in Zukunft tragen werden.

Das sind stattdessen Menschen, die zum Beispiel schon zu Hause mit einer Art Uhren-Kultur aufgewachsen sind, wo Uhren vererbt und zu besonderen Anlässen verschenkt werden, wo Uhren ganz selbstverständlich täglich getragen werden.
Ich setze ganz klar auf die junge Generation, auch wenn deren Eltern vielleicht eine Smartwatch tragen. Aber immerhin tragen sie eine Uhr und auf diesem Weg können die Kinder entdecken, dass es da ja noch viel coolere Sachen fürs Handgelenk gibt. Nämlich eine klassische Armbanduhr mit Geschichte und einem Design, das zwischen all den digitalen Produkten auffällt, das man gern anschaut. Ein Produkt, das nicht beim nächsten Software-Update veraltet und wertlos ist.
Wenn man eine Uhr mit einem ikonischen Design und besonderer handwerklicher Leistung besitzt, dann schätzt man diese über die reine Funktionalität hinaus. Eine solche Uhr hat für ihre Besitzer eine besondere Bedeutung, und daran wird sich meiner Meinung nach so schnell auch nichts ändern.
Diese Bedeutung muss man als Marke liefern. Da geht es um Geschichten, um Traditionen und Werte wie bei Tutima Glashütte.
Matthias Stotz
IL: Diese Hypes, von denen Sie gesprochen haben, gibt es ja auch bei anderen Luxusprodukten wie Handtaschen und Sneakern. Wie unterscheidet sich die Uhr davon?
MS: Der ganz große Unterschied besteht darin, dass eine klassische, mechanische Uhr ein unglaublich langlebiges Produkt ist, das auch in 50 oder 100 Jahren noch zuverlässig die Zeit anzeigen wird. Sie ist, wenn sie gut gepflegt wird, fast unabhängig von Alterungsprozessen, kann immer wieder repariert werden und somit eine gefühlte Ewigkeit überdauern.
Das macht die große Faszination einer mechanischen Uhr aus. Und deshalb wird sie auch oft von ihren Besitzern über mehrere Jahrzehnte getragen. Man will sich einfach nicht von ihr trennen. Somit ist eine klassische Armbanduhr auch ein sehr nachhaltiges und umweltfreundliches Produkt.
IL: Tennis und Tutima – diese Verbindung ist meines Wissens neu. Wie kam es dazu?
MS: Beides fängt mit T an (lacht). Tennis ist für uns als Marke, die etwas höher positioniert ist, ein Sport, der ausgezeichnet zu uns passt. Zudem hat auch Tennis viel mit Präzision und Technik zu tun.

Tutima Glashütte hatte über viele Jahre eine Kontinuität im Segelsport, nicht nur als Zeitnehmer bei der Kieler Woche, sondern auch durch das Engagement mit der eigenen Segel-Rennyacht, mit der die Frauencrew 2023 den Weltmeistertitel holte. Mehr ging nicht, und so hat man angefangen, nach einem neuen sportlichen Engagement Ausschau zu halten, auf das man sich fokussiert. Daher sind wir auch nicht nur hier am Hamburger Rothenbaum als Official Timekeeper dabei, sondern ebenfalls bei den Berlin Tennis Open im Juni.
IL: Vertrieb war immer ein wichtiges Thema für Sie. Weshalb?
MS: Also Vertrieb ist ja etwas, was ich eigentlich gar nicht kann. Ich möchte doch keine Uhren vertreiben. Wir bauen ja so schöne und tolle Uhren, dass wir die eigentlich alle behalten wollen (lacht).
Spaß beiseite. Ich denke, beim Vertrieb geht es darum, die Werte einer Marke oder auch eines Produkts zu vermitteln, sodass alle, die damit zu tun haben, Freude daran haben.
IL: Wie ist Tutima Glashütte vertrieblich aufgestellt, welche Pläne gibt es?
MS: Wir haben aktuell keine eigenen Boutiquen, stattdessen haben wir eine klare Ausrichtung auf den Fachhandel. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, die die Marke verstehen und mit denen wir gemeinsam wachsen werden. Als unabhängige und familiengeführte Marke agieren wir schnell und partnerschaftlich individuell und können für viele Fachhändler in der Zukunft eine gute Basis mit viel Potenzial bieten.


Das ist vor allem für unsere höherpreisigen Uhren wichtig. Mit unserem Modell „Tempostopp“ aus 18-karätigem Gold liegen wir bei knapp 40.000 Euro VK-Preis. Und die ebenfalls mit einem Gold- oder Platingehäuse ausgestattete Minutenrepetition hat einen UVP von fast 200.000 Euro. Für solche Produkte ist der Markt natürlich begrenzt.
Aber wir haben auch Sportuhren im Preisbereich ab ca. 2.000 Euro, und da sehe ich großes Wachstumspotenzial.


IL: Das heißt, Vertrieb beginnt für Sie also nicht erst beim fertigen Produkt?
MS: Richtig. Schon beim ersten Strich, beim Designer oder in der Konstruktion überlege ich mir immer, wie es sein wird, wenn ich später mit dieser Uhr auf der Messe bin und mit einem Fachhändler darüber spreche. Was werde ich dem Händler erzählen, weshalb er diese Uhr unbedingt in sein Sortiment aufnehmen sollte?
Der Vertrieb beginnt für mich im Entstehungsprozess der Uhr. Denn alles, was wir später als Argumente beim Verkauf benötigen, muss bereits bei der Konzeption angelegt und umgesetzt werden. Wichtig ist dabei nicht aus den Augen zu verlieren, was der aktuelle, aber auch der zukünftige Kunde sucht und welches Angebot wir ihm oder ihr dann anbieten können.
Und je besser man diese Grundlagen geschaffen hat, umso besser kann man dies auch an die Juweliere weitergeben, vor allem auch die eigene Begeisterung, da man die Uhr von Beginn an begleitet hat.
In der Uhrenbranche kann man bei diesem Schaffensprozess ganz nah dabei sein und jeden Schritt miterleben und mitgestalten. Das macht mir unglaublich viel Freude.
Matthias Stotz
Und ich glaube, ohne diese Freude, diese echte Überzeugung und Begeisterung kann man im Vertrieb nicht erfolgreich sein. Schließlich ist man als Marke ja nicht allein beim Juwelier. Da muss man kontinuierlich dranbleiben. Und ohne das permanente Teilen von Leidenschaft und auch der Ernsthaftigkeit der Aufgabe hat man meines Erachtens keine Chance.