Mein Uhrenmonat Juni: Den Mutigen gehört die Uhrenwelt – egal, ob mit Mechanik oder Quarz
Wenn ich den vergangenen Monat Revue passieren lasse, dann kommt mir als eines der ersten Erlebnisse mein Besuch bei der Swatch-Group-Marke Tissot in der Schweiz in den Sinn.
Anfang Mai durfte ich dort die Produktion der „PRC 100 Solar“ und des neuen Uhrwerks besichtigen, womit dieses Modell bestückt ist – ein Quarzwerk wohlgemerkt. Meist brüsten sich Uhrenhersteller lieber mit mechanischen Werken – das könnte Tissot natürlich auch.
Berechtigter Stolz auf ein Quarz-Solar-Werk
Aktuell gilt der Stolz der Marke aber dem Swiss-Made-Quarzwerk F06.615. Und dieses setzt auf die Kraft des Lichts. Ein alter Hut, meinen Sie?
„Nun ja, mechanische Uhrenkunst ist definitiv älter, wird dennoch von manchen hartnäckig als der Weisheit letzter Schluss angepriesen.“
Antje Heepmann
Um Missverständnissen vorzubeugen: Mich fasziniert die Kunst des präzisen Zusammenspiels eines Handaufzugs- oder Automatikwerks genauso wie viele andere. Das hält mich aber nicht davon ab, auch rechts und links der mechanischen Pfade genau hinzuschauen.
Und eben dort habe ich die neue Lightmaster-Technologie entdeckt, zu der die Swatch-Group-Töchter Nivarox (Spezialist für Bestandteile des Schwingsystems und der Hemmung), ETA (Uhrwerksproduzent) und EM Microelectronic (Spezialist für stromsparende, miniaturisierte Mikrochips für Uhren) ihre Expertisen für eine aufwendige Forschung und Entwicklung zusammengetan haben.
Das Ergebnis beschreibt das Unternehmen als ein neues Kapitel in Sachen Zeitmessung. Das ist sicher übertrieben, aber auch nicht ganz falsch. Denn hier hat man das Thema Solaruhr und -werk noch einmal von Grund auf neu gedacht, sodass zum Beispiel die Zifferblatt-Designer von dieser nachhaltigen Form der Energiegewinnung nicht mehr eingeschränkt werden.
Und blickt man in die voller Stolz leuchtenden Augen der Entwickler der Lightmaster-Technologie, dann verfliegt zumindest bei mir jeglicher Zweifel daran, dass Quarzuhren automatisch in die zweite Reihe zu treten haben.
Mediale versus reale Uhrenwelt
Tissot hat gerade den Mut bewiesen, die „PRC 100 Solar“ ins Rampenlicht zu rücken – nicht nur, um den Akku der Uhr zu laden. Sondern auch, um klarzumachen, dass, anders als es die mediale Uhrenwelt suggeriert, die reale Uhrenwirklichkeit – gut gemacht – auch strombetrieben mit Technik faszinieren kann.
Außerdem passt die nachhaltige Energiegewinnung mittels Lichts natürlich gut in unsere derzeitige und zukünftige Lebenswirklichkeit. Auch wenn Tissot-CEO Sylvain Dolla klar ist, dass Nachhaltigkeit allein (noch) kein ausreichendes Verkaufsargument ist. Es unterstützt den Kaufprozess aber maßgeblich, wenn Technologie und Geschichte stimmen. Zugegeben: Die stimmt bei Mechanikwerken natürlich auch.
Bei Lightmaster ist das meines Erachtens ebenfalls der Fall, und ich drücke die Daumen, dass der Tissot-Mut belohnt wird und dazu beiträgt, dass die Nicht-Mechanikuhren nicht zur verschämten Bückware im unteren Regalfach verkommen. Verdient hätten sie es nicht.
Ich bin mir offen gestanden auch nicht sicher, ob sich die (Schweizer) Uhrenindustrie einen Gefallen tut, auf immer teurere und kompliziertere mechanische Uhren zu setzen und in den medialen Fokus zu rücken. Besteht doch die Gefahr, dass Uhren in den Augen der breiten Masse zum grundsätzlichen Luxusgut avancieren, wofür das eigene Budget ohnehin nicht ausreicht, sodass man die Beschäftigung damit einfach einstellt. Ein billiges Wearable reicht doch aus – oder das Smartphone.
Mein Appell lautet: Mut zur Qualität, Mut zu anspruchsvoller Technik, Mut zu durchdachten Designs und Qualitätsmaterialien – und zwar in allen Preissegmenten und Uhrenkategorien. Dann klappt’s auch mit den Käufern.
Was noch für Gesprächsstoff gesorgt hat
Da ist Juwelier Wempe zu nennen, welcher nicht nur eine neue IWC-Boutique in Hamburg eröffnet hat, sondern mit Urwerk mutig eine mutige Uhrenmarke ins Sortiment aufgenommen hat, welche ohne Frage abseits jeglichen Mainstreams unterwegs ist.

Denken die Schweizer Uhrenhersteller an die USA, dann herrscht wohl derzeit eher das gegenteilige Gefühl von Mut vor. Stattdessen geht offensichtlich die Angst vor der unberechenbaren Trump’schen Zollpolitik um. Im schlimmsten Fall werden demnächst 31 Prozent auf alle Swiss-Made-Waren fällig, die in die Vereinigten Staaten gehen.
Die Reaktionen auf diese Furcht ließen sich unzweideutig an den explodierenden Ausfuhren ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten im April ablesen, um noch schnell die Läger zu füllen. Als unabwendbare Konsequenz folgte der Einbruch im Mai, wie der Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH Mitte Juni mitteilte. Eine Prognose, wie es weitergeht, wagt derzeit wohl niemand. Hier ist Mut gefragt, neue Absatzmärkte zu finden.
Dass die Uhrenbranche auf der Suche nach neuen Wegen ist, darauf deuten immer auch Personal- und Strategiewechsel hin. So auch im zurückliegenden Juni.
Gucci bereitet dem Mutterkonzern Kering schon seit geraumer Zeit Kummer. Eine Konsequenz sind der Wegfall von 21 Mitarbeitern in der Uhrensparte. Nun soll es außerdem ein neuer CEO richten, der aus der Automobilindustrie kommt.
Bei Longines verlässt Matthias Breschan den CEO-Posten und Tim Stracke verzichtet auf den Vorsitz des Beirats bei Chrono 24. Die Onlineplattform hat sich zudem gerade eine neue Markenidentität verpasst.
Es ist Bewegung in der Branche, von einem Sommerloch ist weit und breit noch nichts zu sehen. Wir halten Sie auf dem Laufenden!