Kolumne: 39 Prozent US-Zoll auf Swiss-Made-Uhren – die Hoffnung stirbt zuletzt
Die Tagesschau titelt auf ihrer Website: „Fassungslosigkeit in der Schweiz über US-Zölle.“ Das trifft es wohl recht gut. Und dabei ist dies noch harmlos ausgedrückt.
„Debakel“, „Verwirrung und Wut“, „Ohrfeige aus Washington“ – die Gazetten sind voll solcher sprachlichen Zuschreibungen angesichts der angekündigten 39 Prozent Zoll, die ab dem 7. August auf alle in die USA exportierten Produkte aus der Schweiz anfallen sollen. Platz 4 im weltweiten US-Zoll-Ranking.
Vor allem die Schweizer Uhrenindustrie, für die es ohne Swiss-Made-Label düster aussehen dürfte, wäre davon schwer getroffen. Und auch aufgrund des Know-hows und der speziellen Produktionsanlagen kann man mal eben die Fertigung hochwertiger Uhren nicht einfach in ein weniger vom Trump’schen Zollirrsin betroffenes Land verlagern.
„Der wichtige amerikanische Markt wird nun mit einem der höchsten Zölle verbarrikadiert, den die Trump-Regierung überhaupt ausgesprochen hat“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung NZZ.
Schweizer Verhandlungs-Fiasko
Die Hiobsbotschaft kam ausgerechnet am Nationalfeiertag der Schweiz, zu dem US-Außenminister Rubio freundlich und ohne Zoll-Verweis gratulierte – der Eindruck von Hohn drängt sich auf.
Dabei hatte sich die Confoederatio Helvetica so sicher gefühlt und geglaubt, dass man einen besseren „Deal“ als die EU aushandeln könne, für die die Präsidentin der Europäischen Kommission 15 Prozent mit dem US-Präsidenten vereinbart hat.
Und während sich noch viele ob der vermeintlich schlechten Verhandlungstaktik der EU entrüsten, erlebt die so selbstsichere Schweiz ein wahres Verhandlungs-Debakel.
Noch Anfang Juli verkündete die Direktorin des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft, Helene Budliger Artieda, auf der Generalversammlung der Uhrenindustrie in Lausanne großspurig:
„Ich kann keine Prognose abgeben, aber ich wage zu sagen: Wir werden nicht auf 20 oder 30 Prozent zurückfallen.“ Budinger empfahl, mit rund zehn Prozent zu rechnen, zusätzlich zu den 3,2 Prozent, die bereits vorher für die Uhrenindustrie galten.
10-Prozent-Traum ist ausgeträumt
Eine SMS hat diesen Traum platzen lassen. Und die Schweizer scheinen gänzlich unvorbereitet zu sein.

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (links) hatte laut Schweizer Tagesanzeiger noch am 31. Juli in einem Telefonat mit Trump, der sie zunächst zehn Minuten in der Leitung warten ließ, versucht, einen 10-Prozent-Deal auszuhandeln. Sie erwischte den ohnehin schlecht gelaunten US-Präsidenten aber auf dem völlig falschen Fuß, als sie versuchte, ihm das Handelsdefizit der USA gegenüber der Schweiz zu erklären. Dass der POTUS Belehrungen – ob berechtigt oder nicht – gar nicht mag, ist eigentlich hinlänglich bekannt.
Und so kam angeblich noch während des Telefonates aus den USA eine SMS mit der Botschaft: „Beendet das Gespräch, sonst wird alles nur noch schlimmer.“ Und es kam schlimmer.
Achterbahnfahrt der Schweizer Uhren-Exporte in die USA
Im ersten Halbjahr 2025 exportierte die Schweiz Uhren im Wert von 2,56 Milliarden Franken in die USA. Das entspricht fast 20 Prozent des gesamten Exportwertes in diesem Zeitraum.
Der Markt hatte sich als guter Ausgleich zu den rückläufigen Exporten nach China entwickelt. Aber bereits Trumps Ankündigung seiner globalen Zoll-Fantasien am 2. April während der Watches & Wonders – der Heilige Gral der Uhren-Events –, die er nun schrittweise realisiert, hat die Schweizer Exportstatistik bezüglich USA mächtig durcheinandergewirbelt. Denn für die Eidgenossen standen damals 31 Prozent im Raum.

So stiegen die Schweizer Uhren-Exporte gen Amiland im April dieses Jahres um absurde 180 Prozent. Das war wohl der Versuch, noch vor Inkrafttreten neuer Zollsätze möglichst viel Ware in die Läger der Einzelhändler in Übersee zu verfrachten. Im Mai folgte dann der Einbruch um 25,3 Prozent – ein Minus mit Ansage. Und auch im Juni betrug der Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat satte 17,6 Prozent.
Aber irgendwie schien man all das – zumindest nach außen – nicht so ernst zu nehmen.
So zeigte sich beispielsweise Breitling-CEO Georges Kern noch im Mai gelassen: „Ich bin nun 60 Jahre alt, habe alles gesehen, jede Krise, jedes Board, jede Aufregung. In Panik verfalle ich auf jeden Fall nicht“, sagte er in einem Interview mit der Schweizer Handelszeitung. Konkret angesprochen auf die möglichen 31 Prozent Strafzoll, meinte er: „Offensichtlich sind Zölle nicht hilfreich. Es ist aber davon auszugehen, dass nicht so heiß gegessen wie gekocht wird.“
Breitling – selbst Goerges Kern verliert seinen Optimismus
Doch jetzt haben selbst den sonst so souverän-entspannt wirkenden Goerges Kern die 39-Prozent-Aussichten aus der Ruhe gebracht. Gegenüber der NZZ äußerte sich der Breitling-Chef nun besorgt bis verärgert: „Ich bin schockiert über das Ergebnis der Verhandlungen. Wer verhandelt, muss immer auch die Risiken einkalkulieren. Stattdessen hat man bei uns einen falschen Optimismus verbreitet.“
„Die Schweiz ist in Geiselhaft der Pharmaindustrie“, lautet zudem seine Erklärung für das drohende Zoll-Fiasko. „Das betrifft alle exportorientierten Branchen außer einer: Zynischerweise ist die Pharma, welcher wir die Situation zu verdanken haben, von den hohen Zöllen vorerst ausgenommen.“ Trump geht es seiner Meinung nach in erster Linie um die Gesundheitskosten, so Kern gegenüber der NZZ.

„Die Margen für die Medikamente sind enorm. Die USA sind für Roche und Novartis ein Eldorado“, so Kern. Die im Vergleich zu Europa teils dreimal so teuren Medikamente wolle Trump nicht mehr bezahlen. „Genauso wenig wie die 20-Millionen-Gehälter einiger Pharma-CEOs“, so der Breitling-Chef weiter.
Sollten die 39 Prozent kommen, sieht er für die in der Schweiz produzierenden Unternehmen nur wenige Möglichkeiten, dies aufzufangen. Einfach-Preise um 40 Prozent zu erhöhen, „das würde den Markt abwürgen“.
„Man kann effizienter werden. Man kann mit einer geringeren Marge operieren. Und man kann die Preise erhöhen.“ Und zwar nicht nur in den USA, sondern überall.
Das könnte weiteren Unbill nach sich ziehen, denn „überall“ läuft es auch nicht wie geschmiert für die Schweizer Uhrenbauer.
(Hier sei angemerkt, dass der US-Zoll in Höhe von 39 Prozent auf den Einfuhrwert erhoben werden würde, was eine Erhöhung des VK-Preises von maximal 15 Prozent bedeuten würde.)
Marge runter, VK-Preise rauf?
Bei Luxusuhren ist der Gestaltungsspielraum bei der Preisfindung wesentlich höher als bei günstigeren Uhren. Und auch Einbußen bei der Marge wären sicher für viele Anbieter im höheren Preisbereich tragbarer, als für Hersteller in den unteren Preissegmenten: Eine Mischung aus Margenkürzung und Preiserhöhung könnte also für einige funktionieren und den ganz großen Crash verhindern.
Allerdings ist auch die Luxusklientel preissensibler geworden – nicht, weil sie sich kostspielige Uhren nicht mehr leisten kann, sondern weil man nicht als endlos melkbare Kuh missbraucht werden will.
Breitling-Chef Goerges Kern hat es kürzlich gegenüber der Schweizer Handelszeitung so auf den Punkt gebracht: „Die Kunden verstehen, dass Preise steigen. Zum Beispiel, weil Gold viel teurer geworden ist. Oder wenn eine Uhr neu mit einem Manufakturwerk ausgestattet ist. Was die Kunden nicht verstehen, ist, wenn das identische Produkt plötzlich viel teurer wird.“
Ob also höhere Zölle als Grund für höhere Preise akzeptiert würden, ist fraglich. Zumal ein Schweizer Zeitmesser nichts ist, was man sofort haben und kaufen muss. Wartezeiten sind die Luxusuhrenkäufer zudem gelernt und auszuhalten. Man kann sich gedulden, bis sich der Zollsturm wieder gelegt hat. Oder sein Geld einfach für andere schöne Nicht-Swiss-Made-Dinge ausgeben.
Das Dilemma der Swatch Group
Blickt man auf die mittleren und unteren Preissegmente, scheint die Lage tatsächlich dramatisch. Hier wäre vor allem die Swatch Group von einem 39-prozentigen Zoll massiv betroffen. Der Uhrenkonzern schreibt sich seit jeher heroisch und lobenswert auf die Fahnen, nahezu ausschließlich in der Schweiz zu produzieren. Auch kostengünstige Uhren wie die der Marke Swatch. Der Konzern gibt sich dennoch gewohnt gelassen und über den Dingen stehend.
„Keine Schnellschüsse an Negativismus und Spekulationen und vor allem kein Hyperventilieren, vor allem von den Journalisten. Keep calm“, teilte Swatch in einer Stellungnahme an Nachrichtenagentur AWP kurz nach der 39-Prozent-Verkündung mit.
Intern wird die Nervosität trotz aller Coolness groß sein. Schließlich sind die USA der zweitwichtigste Absatzmarkt des Konzerns, Tendenz steigend. Noch. Denn diese Entwicklung würde sich möglicherweise abrupt umkehren, sollte die Schweiz bis zum 7. August keinen besseren Deal mit dem US-Präsidenten aushandeln können.

Experten-Schätzungen zufolge erzielt die Swatch Group rund ein Fünftel ihres Umsatzes in den USA – vor allem mit günstigeren Uhren, bei denen Preiserhöhungen schwieriger umzusetzen sind als im Luxussegment.
Die Aussichten sind also alles andere als rosig. Zumal die Swatch Group ohnehin aufgrund des allgemein schwächelnden China-Geschäfts ein Umsatzminus von 7,1 Prozent im ersten Halbjahr 2025 zu verkraften hat.
Richemont, LVMH und Rolex
Die beiden Luxusgüterunternehmen Richemont und LVMH dürften den Zoll-Hammer etwas weniger fürchten. Beide – auch der französische Luxuskonzern LVMH – produzieren ihre Uhren zwar in der Schweiz, haben aber auch auf andere Produkte wie Mode, Schmuck, Lederaccessoires und Spirituosen im Portfolio, bei denen Swiss-Made keine Rolle spielt.
Und Rolex? Der Beherrscher des Luxusuhrenmarkts und Spezialist für kontrollierte Vertriebspolitik sagt wie üblich nichts und geht mal wieder seinen eigenen Weg. Das berichtete die NZZ schon vor Bekanntwerden der geplatzten Zoll-Verhandlungen mit den USA:

„Rolex liefert derzeit weniger Uhren aus. Offiziell bestätigt ist das nicht. Doch aus mehreren Märkten berichten Händler übereinstimmend von spürbar geringeren Liefermengen. Nicht, weil die Regale voll wären, sondern damit es gar nicht erst so weit kommt. Für viele Modelle gibt es nach wie vor Wartelisten – aber eben nicht mehr für alle. (…) Noch bevor einzelne Händler auf die Idee kommen könnten, eine Rolex unter Listenpreis anzubieten, zieht das Unternehmen die Reißleine – und verknappt das Angebot.“
Rolex-Business as usual, könnte man meinen.
Doch die Zeiten sind alles andere als usual – vielleicht muss demnächst sogar Rolex neu denken.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
„Noch ist nicht alles verloren“, meint Oliver R. Müller, Branchenexperte und Gründer von LuxeConsult, auf seinem LinkeIn-Account: „Denn getreu seiner TACO-Taktik ‚Trump never cows out‘ kann er es sich noch innerhalb einer Woche anders überlegen, indem er massive Zusatzinvestitionen in den USA durch Schweizer Firmen erpresst.“ Ob das der Hoffnung der eidgenössischen Industrie entspricht, darf jedoch bezweifelt werden.
Müllers Post zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August auf LinkedIn beginnt übrigens so: „Alles Gute zum Nationalfeiertag an alle Schweizerinnen und Schweizer mit einer Lektion über ‚Die Kunst des verpassten Deals‘!“