Mein Uhren-Monat September: Druck-Ausgleich und Ironie versus „The Truman Show“ der Uhrenwelt
Bei meinen Besuchen in Genf fiel mein Blick unzählige Male auf die berühmte Fontäne, welche sich auch zigmal in meinem Fotoarchiv befindet. Offen gesagt habe ich mir aber noch nie Gedanken gemacht, was es mit dem Wahrzeichen der Stadt Genf auf sich hat.
Und dabei hat der Jet d’eau (Wasserstrahl) tatsächlich einen praktischen Bezug zur Uhren- und Schmuckindustrie. Im späten 19. Jahrhundert wurde in Genf eine hydraulische Anlage betrieben, die Wasserkraft zur Energieversorgung nutzte. Immer wenn Maschinen in den Werkstätten der Juweliere, Uhren- und Schmuckhersteller abgeschaltet wurden, stieg der Druck in den Wasserleitungen an.

Um diesen Überdruck zu regulieren, leitete man das Wasser durch ein Rohr nach oben ab. So entstand um 1886 eher zufällig der erste, etwa 30 Meter hohe Wasserstrahl. Heute erreicht der Jet d’eau beeindruckende 140 Meter.
Wege des Druck-Ausgleichs in der Schweizer Uhrenindustrie
Druck verspürt die Uhrenindustrie in der heutigen Zeit auch, und zwar massiv. Diesen abzulassen, gestaltet sich allerdings nicht so einfach wie mit dem Jet d’eau. Allen voran die Schweizer Hersteller suchen nach Wegen, mit dem drückenden 39-prozentigen US-Zoll umzugehen. Mögliche Wege nach dem massenhaften Uhren-Export in die USA bis zum Inkrafttreten des Trump-Zolls sind Preiserhöhungen, Margenkürzungen, das Erschließen neuer Märkte und möglicherweise auch besondere Aufmerksamkeiten für den US-Präsidenten.
Angesichts seiner Wankelmütigkeit weiß wohl niemand – wahrscheinlich auch er selbst nicht – ob und wann es eine Rückkehr zu gemäßigten Tarifen geben wird. Sicher ist aber wohl, dass jetzige, zollbegründete Preiserhöhungen dann nicht wieder zurückgenommen werden. Dabei reagieren selbst gutsituierte Luxuskunden mittlerweile sensibel auf die immer häufigeren Preiserhöhungen der Top-Marken.
Swatch und Raymond Weil reagieren mit Ironie
In solch unabwägbaren Zeiten kann Ironie helfen, um Druck abzubauen. Swatch-Group-Chef Nick Hayek hat sich für die „positive Provokation“ entschieden, und zwar mit einem ganz besonderen „What if …“-Modell von Swatch. Auf dem quadratischen Zifferblatt sind die arabischen Ziffern 3 und 9 vertauscht worden und verweisen so auf den gegen die Schweiz verhängten US-Zoll in Höhe von 39 Prozent. Auf dem rückwärtigen Batteriefachdeckel ist außerdem ein großes Prozentzeichen zu sehen.
Sollte der US-Zoll nach unten korrigiert werden, soll der Verkauf dieser Uhr sofort gestoppt werden. „Hoffentlich ist es nur eine limitierte Edition“, heißt es auf der Website von Swatch.
Raymond Weil hat ebenfalls eine 39-Prozent-Zoll-Uhr lanciert. Die 39 Exemplare gibt es von der limitierten „Millesime“-Version mit 39 Millimetern Durchmesser und einem 39-%-Hinweis auf dem Zifferblatt.
In der Sache werden diese Uhren rein gar nichts ändern. Aber sie zaubern in unsicheren Zeiten ein Schmunzeln in viele Gesichter – immerhin. Denn die Anlässe dazu werden aktuell eher weniger als mehr.
Ein guter Sommer für die deutsche Uhrenindustrie
Etwas besser läuft es für die deutsche Uhrenindustrie. Die Zahlen, die vom Bundesverband Schmuck, Uhren und verwandte Silberwaren bereitgestellt werden, zeigen für den Sommermonat Juli zwar eine Flaute beim Schmuck, dafür aber ein deutliches Plus bei den Uhren.
Nachdem die Branche monatelang geschwächelt hatte, ging es im Juli mit einem Export-Plus bei Uhren und Uhrenteilen von 10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat deutlich aufwärts. In Zahlen entspricht das einem Volumen von 176 Millionen €.
Eitel Sonnenschein herrscht hierzulande dennoch nicht. Zumindest der Druck auf die deutschen Juweliere wächst. So wurde im September bekannt, dass Rolex rund zwei Jahre nach der Übernahme der Juwelierkette Bucherer bis Ende 2026 rund 40 Vertriebslizenzen streichen will. Besonders betroffen ist Juwelier Rüschenbeck, langjähriger Partner der Marke mit der Krone.
Und es wird wohl noch mehr kommen. Die Schweizer Handelszeitung zitiert den Branchenexperte Oliver Müller so: „Rolex hat in den letzten fünf Jahren das Händlernetz um circa 20 Prozent auf aktuell 1.250 Verkaufspunkte reduziert. Mittelfristig werden es weniger als 1.000 sein und langfristig maximal 800. Gut die Hälfte davon wird in Eigenregie geführt über Bucherer und andere Zukäufe.“
Geneva Watch Days – „The Truman Show“ der Uhrenwelt
Auf die Stimmung bei den Geneva Watch Days hat die angespannte Situation der Schweizer Uhrenhersteller übrigens nicht gedrückt. Die Sorgen verdeckte man mit der typischen Schweizer Zurückhaltung und neutraler Höflichkeit und konnte so am Ende Rekordzahlen verkünden.
Im Rückblick wirkten die Uhrentage am Genfer See – immer mit Blick auf die berühmte Fontäne – ein wenig wie eine von der Realität abgekoppelte „The Truman Show“ der Uhrenwelt. In dem Film lebt Truman Burbank in einer künstlich geschaffenen Stadt mit Schauspielern als Familie, Freunden und Arbeitskollegen, in der alles sicher und perfekt zu sein scheint. Am Ende öffnet er die Tür ins Unbekannte: die echte Welt.
Die Tür zur echten, unperfekten Uhrenwelt öffnete sich kurz nach den Geneva Watch Days ebenfalls. Und zwar in Form der offiziellen Exportstatistik der Schweizer Uhrenindustrie für den Monat August. Insgesamt wurden Uhren im Wert von 17 Milliarden CHF ausgeführt, das entspricht einem deutlichen Minus von 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Mengenmäßig ging es ebenfalls um gut 16 Prozent auf eine Million Einheiten zurück.